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margitschmidinger

"Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele nach dir, Gott...." Psalm 42


Als wir im August in Deutschland am Hildegardweg unterwegs waren, war immer wieder der obenstehende Vers aus Psalm 42 in meinen Gedanken. Wir gingen tagelang durch dürres Land. Seit Juni kein Regen. Besonders im Wald spürten wir dieses Lechzen nach Wasser. Die Blätter verdorrten am Baum, die Brombeeren vertrockneten am Strauch. Alles klang hohl. "Der knusprige Wald" - so nannte es meine Schwester. Eine bedrückende Stimmung machte sich breit. Ohne Wasser kein Leben. Das wurde uns deutlich vor Augen geführt. Umso schöner der Brunnen mit frischem Wasser am Weg. Unverzüglich war die Freude da! Kostbares Wasser! So ausgetrocknet und hohl erscheint mir manchmal auch unsere katholische Glaubenslehre. Was ist schiefgelaufen? Warum kommen die Menschen nicht mehr zu unseren Gottesdiensten um sich das lebendige Brot als Nahrung für die Seele zu holen? Warum braucht keiner mehr das Sakrament der Versöhnung? Warum braucht kaum noch jemand den "Herrgott´s Winkel" mit dem Gekreuzigten im Haus?

Einige "Schriftgelehrte" würden jetzt sagen: weil der Wohlstand die Menschen verdorben hat und sie den lieben Gott vergessen haben. Ich zähl mich in diesem Fall nicht zu den Schriftgelehrten und sage, weil wir die Botschaft Jesu gründlich missverstanden haben. Weil wir viel zu sehr mit der Institution beschäftigt sind, uns hinter Theologien und Dogmen verstecken und das reale Leben, die Wirklichkeit, unter den Teppich gekehrt haben. Die Dokumentation gestern Abend über "Die Kirche und das Zölibat - der katholische Leidensweg", hat meine Thesen nur verstärkt (auf arte Mediathek nachzusehen).

Im Johannesevangelium, Kapitel 5, heilt Jesus einen Gelähmten am Sabbat, nennt Gott seinen Vater, der durch ihn wirkt und offenbart sich als Mensch, der durch und durch mit der göttlichen Quelle des Lebens verbunden ist. Damit überschreitet er eindeutig die Grenzen des jüdischen Kults, was ihm später Kopf und Kragen kostet. "Ihr brütet über den Schriften und meint, in ihnen hättet ihr das Leben; aber jetzt steht das Leben selbst vor euch und ihr erkennt es nicht!"(Joh 5,39).

Was für ein genialer Satz - das Leben selbst steht vor euch! Jesus identifiziert sich ganz mit Gott, nennt sich selbst "Sohn Gottes" und möchte, das wir es ihm gleichtun: zum Leben kommen, das Leben selbst in uns suchen und finden und unsere Identität, unser ureigenstes Wesen, unser Sein ganz aus diesem göttlichen Kern in uns zu beziehen. Das war der Auftrag Jesu. Den Menschen zu zeigen, was es heißt, aus dieser göttlichen Liebe zu leben. Diese Fähigkeit, diese Möglichkeiten liegen nicht nur in einem historischen Jesus, der vor 2000 Jahren gelebt hat. Nein, dieses Potential liegt in jedem menschlichen Wesen. Es liegt auch in dir. Diesen Urgrund nennen wir Christus und somit lebt diese Christuswirklichkeit in jedem von uns. Das ist die zentrale Botschaft unseres Glaubens: das Leben selbst steht vor dir!

Das Leben ist wie ein Spiegel und je mehr ich diese Christuswirklichkeit in mir selbst wahrnehme, desto mehr Erfahrungen des Lebendig-seins werde ich haben und den Mut finden, meine Schatten zu erkennen und aufzulösen. Solange ich Christus als Wunderwuzzi und Sohn Gottes anbete, so als hätte er nichts mit mir zu tun, wird keine Beziehung entstehen, ich werde die wandelnde Kraft seiner Botschaft nicht spüren und austrocknen.

Das Leben steht vor dir!

Meine Einladung an dich heute ist, es nicht den Schriftgelehrten zur Zeit Jesu, gleichzutun und in der Tradition des Gewohnten steckenzubleiben und auszutrocknen, sondern das Leben wahrzunehmen. So wie es heute ist. Sonne, Licht, Regen, Schatten, alles ist Leben und darf sein. Steckst du in der Krise, dann schau was dich die Krise lehren kann. Scheint gerade die Sonnen in deinem Herzen, dann freue dich über die Wärme die dir geschenkt ist. Das Leben steht vor dir - schau es an und du wirst leben!




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