Ich habe mir letzte Woche die Dokumentation „Coming out in church – wie Gott uns schuf“ angeschaut. Sie berichtet von Menschen, die in der deutschen katholischen Kirche arbeiten und sich zu ihrer Homosexualität, Transsexualität usw. bekennen. Diese Menschen erzählen von jahrelangen Versteckspielen, Geheimhalten und der tiefen Angst, dass ihre Beziehung auffliegt und man den Job verliert. Die Doku hat mich tief berührt (zu finden auf der ARD Mediathek).
Und natürlich wirft es wieder die Frage auf, kann ich bleiben. Kann ich, ja mag ich in einer Kirche arbeiten, die Menschen derart verletzt und entwürdigt, nur weil sie anders lieben? Mache ich mich mitschuldig, wenn ich bleibe?
Mit jeder „Krise“ wird es für mich klarer. Ich bleibe. Es sind meine Wurzeln und ich bin in der christlichen Tradition aufgewachsen. Daraus schöpfe ich Kraft. So viele Christen haben durch ihr Leben und Wirken mehr Licht und mehr Liebe in die Welt gebracht, mit ihnen fühle ich mich verbunden. Ebenso spüre ich eine tiefe Solidarität mit den Menschen von „coming out in church“, diese Menschen sind auch Kirche. Katholisch heißt „allumfassend, allgemein“. Wie schön, wenn unsere Kirche sich dorthin entwickelt, zu einer weiten Kirche, die Vielfalt und Diversität nicht nur duldet, sondern auch fördert.
Die Institution ist der Rahmen, der definitiv geweitet, erneuert, umgebaut gehört. Dafür fühle ich mich nicht zuständig. Die Zuständigen sind die Würdenträger, sie tragen die Verantwortung für massive Missstände.
Ich fühle mich für den Inhalt zuständig. Der Inhalt – das ist ein lebendig machender Glaube, der Menschen heilt und hilft, der Menschen aufrichtet, ermutigt und ihnen hilft, das eigene Licht zum Strahlen zu bringen. Unsere christliche Tradition ist voll kostbarer Schätze und Weisheiten. Wenn wir sie abstauben, können wir ihre Schönheit und Kraft wiederentdecken. Dazu dürfen wir die Brille eines denkenden Menschen aufsetzen, wir dürfen Erkenntnisse aus Psychologie und Naturwissenschaften mit einfließen lassen. Wir dürfen zweifeln und alles in Frage stellen. Wir dürfen erkennen, dass Gott nicht verfügbar ist, auch nicht in Sakramenten. Es gibt kein Bild von ihm, welches ihm gerecht wird und doch ist er in allem zu finden.
Für den Inhalt sind wir alle zuständig. Jede/r von uns trägt Verantwortung für die eigene, gelebte christliche Spiritualität. Ich sehe, viele Menschen suchen mutig nach eigenen Wegen. Dort wo sie brauchbare Lebenshilfe finden, dort gehen sie hin. Die Menschen werden mündig und erwachsen. Wie schön! Vielleicht sind es genau die Menschen die aus „dem Rahmen fallen“, die uns letztlich wieder auf die richtige Spur bringen. Von „brav sein“ war bei Jesus nie die Rede!
Ich möchte den Rahmen von innen her weiten und den Spielraum nutzen der da ist. Unsere Kirche, die oft so alt und verstaubt wirkt, sie eröffnet uns auch eine große Weite und Vielfalt. Der Rahmen kann sich in vielen Bereichen als dienlich erweisen. Ich erlebe Gemeinschaft und fühle mich zugehörig. Das tut gut.
„Coming out in church“ finde ich inspirierend – heraustreten und zeigen wie ich bin. Gut und schlecht. Freudig und traurig. Wild entschlossen und zaghaft. Kraftvoll und schwach. Herzlich und abweisend. Leidenschaftlich und geliebt….
Und Gott sah alles an was er gemacht hatte: es war sehr gut… Gen 1,31
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